Wednesday 10 December 2014

Was ein Fisch so denken kann

Was weiss ich denn schon vom Leben ? Freiheit habe ich noch nie gekannt, mein Lebensraum beschränkt sich auf ein paar Kubikzentimeter… Man kauft mich – jawohl, man handelt geradezu mit mir – giesst mich von einem Becken in ein anderes, und das wär‘s. Na ja, ab und zu guckt auch mal einer durch die Scheibe, hält sein Auge dran. Dieses wirkt dann absolut gigantisch. Tja, so ist das : ein langweiligeres Leben als das eines Fisches gibt‘s wohl wirklich nicht.

Nun, das Zimmer kenne ich in- und auswendig; ich dachte auch, ich könne einen gewissen Sinn der Zeit entwickeln, doch man vergisst zu häufig mich zu ernähren. Wozu denn auch ? Würde man mich regelmässig füttern, würde ich auch ein wenig zunehmen – aber die wollen mich schlank haben – obwohl ich hier allein drin hocke. Mein nasses Fischherz würde nun wohl auch niemand mehr akzeptieren, das ist nun wohl auch schon vom verdorbenen Wasser beschädigt. In meinem kleinen, sehr sehr kleinen Universum gibt es keinen echten Zeitzyklus. Trotzdem gibt es hier eine Sonne : eine technologische Sonne die ganz und gar künstlich ist, die der Mensch durch sein tolles Wissen und seine Fachkunst gegründet hat : eine Neon- röhre, die ich aber lieber als meine „Neonsonne“ bezeichne.

Gewissermassen gibt sie doch eine Art Zeit an, denn sie ist regelmässig, so wie auch die Heizung. Das gibt mir nun mindestens ein bisschen Hoffnung : mindestens hat sich jemand mal darum gekümmert, ein Heiz- und Beleuchtungssystem an mein Mikrouniversum anzuschlie?en. Es mag ja ziemlich doof klingen, aber es sind solche kleinen Ereignisse die mir das Leben einfacher machen. Oft kann man sich allein fühlen, ja leider viel zu oft passiert es, da? man dieses wunderbare Leben einfach nicht beherrschen kann.

Es ist sehr schwierig, ein Leben zu leben, in unserer Zeit zu leben, und ganz besonders wenn man einsam ist, so wie ich, hier in meinem Becken. In diesen Fällen, wenn man seinem Schicksal gegenüber steht, ist es gut, sich an diesen kleinen Sachen des Lebens festzuhalten – die Heizung, das Licht, das sind nur Symbole für die Liebe, die dahinter steckt. Es kann passieren, dass man sich vernachlässigt fühlt. Na und ? Bist Du der einzige auf der Welt ? Respekt ist eine Sache und Gemeinsinn eine andere. Das Leben ist nun mal so dass es immer Stärkere und Schwächere gibt. Ob es schon immer so war oder ob es so geworden ist, das wissen nur die Philosophen. Eine Mode ist entstanden dem Schwachen zu helfen, was natürlich heisst, dass man sich einen gewissen Stolz verschafft indem man Grosszügigkeit zeigt. Was immer das auch heissen soll.

Bin ich hier, in meinem Glaskasten, wirklich unabhängig ? Eins steht fest, und zwar dass ich weit von Politik, Kriegen und anderen grossen Entscheidungen stehe – oder schwimme. Meine Lebenssphäre ist das Resultat der menschlichen Entwicklung : ein Stück Meer auf minimaler Fläche, künstlich erhalten. Ich bitte nicht mal um die Haustier-Rechte, ich will noch nicht einmal das Wort „Qual“ benutzen.

Nein Danke. Lieber bewundere ich meine Neonsonne und langweile ich mich zu Tode…

 19/04/1999.

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