An jenem Abend schien die Wirklichkeit des Diplomaten so weit entfernt. Einerseits war François dabei ein neues Leben zu erschaffen, eine Existenz wo er nun wirklich existieren konnte. Allerdings war diese Position in der Botschaft zu statisch für François. Jetzt stellte er sich die Frage ob nicht seine ursprünglichen Gefühle wieder auftauchten: Gewohnheit, Dinge die er zuvor gelernt hatte.
Zu dieser Zeit hatte François grosse Verantwortungen so wie die Sicherheit Staatsangehörigen. Er war oft unterwegs im Nahen Osten, Afganistan oder Israel. Sein Leben war unter einem ständigen Druck aber brachte ihm auch die Motivation und den Willen. All dies war nun die Vergangenheit. François blickte ratlos auf den leeren Platz und drückte auf den Zigarettenstumpf.
Er traf die Endscheidung bis nach Hause zu laufen. François folgte den Strassenlampen, lief möglicherweise in den schattigen Ecken der Strasse und folgte ganz gemüdlich den Weg bis zu der Friedrichstrasse. Sein Leben das zovor so ausgedehnt war reduzierte sich nun auf eine Stadt, Berlin. Ilze hatte ihre eigene Wohnung, ausserhalb der Stadt, und das war gut so. Die beiden trafen sich täglich an der Arbeit und manchmal auch nach der Arbeit oder an Wochenenden. François wollte sich nicht wieder in etwas steigern.
„Mir scheint dass Sie nicht wieder das selbe erleben wollen” betohnte der Doktor wärend einem ihrer Treffen. François erklärte er wolle etwas neues erschaffen worauf Herr Herrman nur leise stöhnte.
„Ihre Gegenwart entseht aus einer Furcht von vergangenen Ereignisse. Sie wollen sich davon entfernen und doch bleiben Elemente aus dieser Zeit. Gibt es denn Sachen die Sie aus jener Zeit vermissen?”
„Im professionnellen Bereich schon,” gab François schliesslich zu “Also damals war mein Posten um einiges interressanter. Ich bin um die Welt gereist, hatte Missionen, Befehle auszuüben, es war eine andere Rolle.”
„Kann es also sein dass Sie diesen Stress und die hecktig bedauern?”
François nickte nur ganz bescheiden, seine Konzentration war komplett, er war woanders. Er hörte das Zwitschern der Vögel aussen auf dem Balkon, die Gardinen wurden leicht von dem Wind bewegt. Was war das für ein komisches Muster auf den Vorhängen. Es waren Blumen, eine Menge Blumen, aber mit einem dunklen Hintergrund. Die Formen waren miteinander verbunden und wenn man lange genug auf diesen Stoff schaute konnte man andere Dinge sehen. François trank einen Schluck Wasser und stellte das Glas zurück auf den Tisch, neben dem Sofa. Er lehnte sich zurück und nun waren die Blumen zu riesiegen Augen geworden. Seine Vorstellung erschreckte François doch er konnte nichts machen. François schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete erschien plötzlich ein Gesicht auf der Leinwand aus Blumen.
„Mm, kann das sein?” die Stimme des Doktors rief François zurück nach Berlin.
„Ich habe den Eindruck ein Teil meines Wesens verloren zu haben. Wahrscheinlich war der Wechsel zu stark, die Entfernung zu gross und das Urteil zu streng aber Heute fehlt etwas in meinem Leben.”
„Kann es Liebe sein?”
„Liebe für wen? Liebe habe ich gefunden, mit Ilze, eine wahre Liebesgeschichte, seit unserem Treffen in Stockholm und nun unser gemeinsames Leben in der Deutschen Hauptstadt.”
„Endspricht dies ihrer Vorstellung? Ist diese Art Leben so wie Sie es sich vorgestellt haben?”
„Das ist schwer zu sagen: weiss ich nicht, keine Ahnung. Ich fühle eine gewisse leere, eine Einsamkeit die von und aus Routine des Alltags entspringt. Dies ist auch der Grund weshalb Ilze und ich nicht unter dem selben Dach leben. Wir wollen Routine vermeiden, damit jeder sein eigenes Zuhause - und seine eigene Freiheit- hat.”
Der Doktor stand auf und tippte auf eine elegante Standuhr die auf seinem Schreibtisch stand.
„Gut, da haben wir ja ein paar gute Ideen für das nächste Mal,” grinste er im düsteren Raum.
François schaute den Psychologen erstarrt und fast gereizt an. Wie konnte es denn sein: so kurz, so scnell. Dabei waren sie doch gerade dabei etwas tiefes anzurühren.
Verwirrt und ungeduldig lief François durch die engen Wege der Hauptstadt. Geladen war er, verunsichert und frustriert von dieser seltsamen Situation. Er konnte bloss den Scheck unterschreiben und sich höflich bei dem Doktor verabschieden. Jetzt aber sah François die Sache in einer anderen Perspektive. Ich brauche diesen Kontakt zur Menschheit, das reden und auch das jemand zuhört, Ratschläge gibt oder schweigt.
François lief durch das Rote Viertel der Stadt und weil er durstig war liess er sich leicht verführen.
„Was darf's denn sein, mein Schatz?“ Die Stimme klang rau und erfahren, die Kellnerin hinter der Theke hatte ein gewisses Alter. In seinem Zustand war dem Herrn zwar alles egal zu diesem Moment.
„Ein Bier vom Fass würde es tun,“ als die Frau den Mund öffnete erschien sie noch hässlicher auch wenn sie versuchte nett zu sein. François wendete sich auf seinem Hocker und sah viel reitzendere junge Damen die zwischen den Tischen hin und her eilten.
Eine lange Weile blieb er hinter seinem Glas sitzen. Nach etwa einer halben Stunde stand immer noch das Bier auf der Bar. Inzwischen hatte sich das Lokal gelehrt und François war der einzige Gast zu diesem Moment. Als er die Augen erhob sah er das die alte Dame von der Bar gegangen war. Jetzt stand da ein Kellner der aus den fünfziger Jahren hätte stammen können. Weisses Hemd und schwarze Fliege.
„Kann es sonst noch etwas sein, mein Herr?“
„Jawohl, ich würde gerne auf einen Whisky umsteigen, ein Tulamore Dew könnte es sein,“ es schien François als höre er seine eigene Stimme durch einen Dämpfer oder eine seltsames Rohr. François atmete tief durch und versank wieder in seinen Gedanken.
Auf keinen Fall möchte ich vergangene Erlebnisse wieder erwecken. Gelernt habe ich daraus, ganz vorallem aber nie rückwertsgehen sondern lieber voraus zu schauen. Ein leichter säufzer, leicht gesagt!
François machte was möglich war: er lebte nicht unter dem selben Dach mit Ilze. Gewohnheit und Routine waren seine Feinde, auch Ilze's Feinde, zumindest in François's Sicht. Dieser Abend, der brutale Abruch beim Psychologen, diese Bar, diese Umgebung waren so viele neue Elemente die François zum zweifeln aufforderten.
„Na, mein Problem mit den Frauen ist wohl dass ich mich zu schnell in sie verliebe. Dann will ich einfach alles von mir geben und die Realität wird abstrakt, verschwindet total. Wie kann das sein, warum passiert mir so etwas? Eine schlechte Erfahrung habe ich ja schon hinter mir. Trotzdem. Dieser Wechsel zur Botschaft, war diese Endscheidung diesen ganzen Stress abzubauen vielleicht doch zu extrem?“ François blickte auf die Theke wo nun ein halb leeres Glas Bier und ein kleines Glas Whisky standen. Ein leichter Schwindel, François setzte sich wieder aufrecht auf den Hocker.
„Hallo, guten Abend, ist dieser Platz frei?“ eine enzückende junge Dame kam auf ihn zu. Die beiden sassen einige Minuten schweigend nebeneinander. Der Kellner war in der Küche verschwunden und das Lokal war inzwischen wieder leicht besetzt.
„Ich sehe dass sie auf etwas stärkeres umgestiegen sind,“ lautete die sanfte Stimme als die Dame mit den Augen auf die Gläser hinwies. Zum ersten Mal sah François seine Nachbarin richtig an und lächelte zurück „Ja, einen Schluck um sich wieder ins Gleis zu bringen,“ sie blickte ihn fragwürdig an ohne wirklich die Bedeutung seiner Worte zu verstehen.
„Lassen sie uns doch anschlagen,“ inzwischen hatte auch sie ein Glas in der Hand und sie zwinkerte „auf uns...“ und diesen Abend der Verlegenheit, beendete er ihren Satz.
Nachdem sie angestossen hatten folgte eine sympathische Diskussion zwischen dem Paar das sich eben getroffen hatte. Julia war sehr offen und direkt auf ihre Art. François hörte aufmerksam zu und blieb auf einer sehr oberflüssigen Ebene in seinem Sprechen. Julia's Gesicht erleuchtete die dunkle Atmosphäre des Lokals, warscheinlich auch die Finsterniss der Sehle ihres Nachbarn.
François konnte es kaum fassen was alles durch seinen Kopf fuhr. Noch konnte er die Verführung spüren, und den Druck dieser konservativen Vernunft. Sein Leben war gespalltet zwischen dieser Verkniffenheit und dem Wille sich gehen zu lassen. Bescheiden war er an der Bar sitzen geblieben wobei er ganz genau wusste das die Frauen auf der Strasse bereit waren ihm neue Erlebnisse zu bieten.
Julia schaute François in die Augen und legte ihre Hände auf seine Knie.
„Mensch, kannst Du es Dir vorstellen? Der Abteilführer wollte mit mir tanzen gehen. Dieser Jüngling, hochnäsig und sogar jünger als ich!“
„Und was hasst Du ihm gesagt?“ François strahlte und grinste Julia an.
„Arschloch, zum Teufel! Der kann mich mal,' Beide lachten und stossten noch einmal an.
Das Leben kann nun mal so einfach sein. François fühlte sich wieder selbstsicher und war froh Julia getroffen zu hhaben. Ihre Offenheit und Persöhnlichkeit, so verschieden sie auch zu seiner war, ermunderten François.
Julia und François blieben über eine Stunde an der Bar sitzen. Sie lachten hauptsätzlich, genossen das zusammensein. Julia war neugierig aber François verriet nicht viel über sein moralisches Wesen. Er wurde nie sehr persöhnlich, erzählte von seinen Reisen und Missionen im Ausland. Das war natürlich beeindruckend für die Berlinerin. François betohnte diese Jahre mehr als seinen eigentlichen Beruf in der Botschaft. Er erschien stolz und selbstsicher vor der Frau.
Sobald Julia sprach glitt François zurück zu seinen Urgefühlen. Tief in sich wusste er jedoch wie riskiert es war seinen Gefühlen zu folgen. Die sanfte Stimme verzauberte ihn. Die Vernunft war immer noch präsent und wies auf ihn. François lachte, er grinste, seine Gesichtsausdrücke bewiesen seine Aufmerksamkeit.
Er drehte den Kopf und bemerkte dass sie diesmal wirklich die letzten Gäste waren. Die Atmosphäre hatte sich verändert, der Effekt der Lichter war abgerundet. Diese röttlichen Glühbirnen und der Einfluss des Alkohols, die sanften Wörter seine Partnerin... so viele Gründe die schliesslich seinen Gefühlen Platz liessen.
Als Julia aufstand konnte François sie endlich richtig sehen. Bisher war er auf ihr Gesicht konzentriert. Ihr Gespräch war eher eine Diskussion und weder er noch sie liessen viel von ihrem privaten Leben durchdringen. Es war ein angenehmer Moment den beide versuchten zu verlängern. François bewunderte ihr konstantes Lächeln, diesen gewissen Optimismus und die Lebenslust. Die röttlichen Locken die teilweise in ihr Gesicht fielen, sowie die Grübchen die dann und wann bei einem ihrer Ausdrücke erschienen, betohnten den Charme dieser reizenden Dame. Elegant lief sie vor ihm auf die Ausgangstüre hinzu. François hatte bezahlt und sah das Julia ein Strumpfband trag, bevor sie ihren Mantel anzog.
Zusammen liefen sie durch die dunklen Strassen Berlins. So verwirrt wie François an dieser Nacht war, desto mehr geniesste er sie. Ihm war bewusst das dieser Abend ein Ende treffen würde, bis dahin genoss er jeden Moment. Sie lachten und umarmten sich ab und zu, einmal tanzten sie sogar unter einer Lanterne, die grossen boulevards waren in Sichtweite. Dann blieb Julia vor einem üppigen Eingang stehen und bedankte sich bei François für diesen Abend.
Der Bruch war so abrupt, François konnte es kaum fassen. Schweigend blickte er seine Partnerin an und Julia öffnete ihre Arme und küsste ihn auf die Wangen. Nun sprangen diese Gefühle auch durch François und er umarmte sie auch. Die Lichter waren in der Ferne und man konnte nicht die Gesichtsausdrücke sehen, aber François konnte die Zärtlichkeit und auch warme Tränen in Julia's Gesicht spüren. Er folgte ihr ins Treppenhaus und in die Wohnung.
François sass auf dem Bett solange Julia in dem Badezimmer war. Die Wohnung war im letzten Stockwerk und bei Tag war die Sicht ganz bestimmt beeindruckend. Alles gläntzte nur so, war aufgeräumt und gepflegt. Bei dieser Fläche konnte François sich gut vorstellen dass es die Arbeit einer Putzfrau war, Julia konnte es bestimmt nicht selbst so hinkriegen. Sein Eindruck der Frau dieses Abends sprach auch nicht dafür.
Da stand sie nun vor ihm. Das selbe Lächeln in Julia's Gesicht, wie zuvor in dem Lokal. Sie bindete ihre Haare hoch, diese Bewegung betonte ihre Brüste. Die seidene Unterwäsche lies teilweise nackte Stellen des Körpers erblicken. Zu diesem Moment konnte François schlecht rein menschliche Gefühle verbergen und die zwei lagen rasch im Bett zusammen.
Die Strahlen der Sonne erwärmten François' Gesicht am nächsten Morgen. Er öffnete langsam die Augen und sah um sich herum. Keine Spur von Julia. Die Türe knirschte und die Rothaarige Frau stand vor ihm, eine Tasse Kaffee in der Hand. Alles ging durch den Blick: ihre Affäre, die Komplizität, das Vertrauen. François schloss abrupt seine Augen zu.
Keine Gefühle, keine Nostalgie, so etwas kann ich nicht brauchen, ich weiss ganz genau wo das hinführt.
Dann brach auch Julia diesen vergnügenden Moment ab, als ob sie seine Gefühle geahnt hätte.
„Du solltest dich beeilen anzuziehen, mein Herr” die süsse ihrer Stimme entschärfte jedoch die Situation „Mein Mann sollte Heute Nachmittag wieder daheim sein,“ François blickte auf seine Uhr und es war schon bald halb elf.
François trank seinen Kaffee im stehen und eilte durch das Treppenhaus. An einer Bäckerei kaufte er sich eine Keinigheit und lief zurück nach Hause. Den Nachmittag verbrachte er an der Arbeit. Verschiedene Projekte beschäftigten ihn aber seine Gedanken waren doch stärker. Er drehte seinen Laptop ab und drückte auf die Taste des Anrufbeantworters. Solange er seine Jacke überzog. Ilzes Stimme lautete besorgt aus der Maschine, sie fragte immer wieder ob denn alles klar sei. Ihr dritter Anruf war der kürzeste: „Wenn du dies hörst, ruf bitte zurück,“ François verdrehte die Augen und dachte „ganz gewiss nicht jetzt, jetzt ruf ich dich nicht an.“ Er schloss die Tür und machte sich auf den Weg durch die animierte Stadt.
François besuchte Einkaufszentren, lief durch und schaute hier und da. Er suchte den Kontakt zu den Menschen, eilige Personnen die noch Abends dies oder das einkauften. In der Menge fühlte François sich wohl. So viele Leute die er doch nicht kannte, ein anonymes Publikum wo auch er anonym war.
© 2018 Matt Oehler